Die Temporäre Kunsthalle mauserte sich in den 17 Monaten ihres Bestehens schnell zu einem wichtigen Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst v.a. von Berliner und in Berlin wohnhaften Künstlern. Der Name verrät es schon, dem Dasein der Galerie ist eine Frist gesetzt, denn im August diesen Jahres, nach ziemlich genau zwei Jahren in der Berliner Kunstszene, wird sie zum letzten Mal ihre Pforten schließen. Bis dahin ist aber noch ein wenig Zeit und es gibt wieder einmal Neuigkeiten vom Schloßplatz:
Nach dem Berlinale-Ergänzungsprogramm »Auto-Kino!« und Bettina Pousttchis Außeninstallation »Echo« zeigt sich die Temporäre Kunsthalle seit gestern bzw. vorgestern innen wie außen in neuem Gewand. Am gestrigen Abend lud die Galerie zur Vernissage und ich habe die Gelegenheit genutzt, um einen ersten Eindruck von den neuen Projekten der Temporären Kunsthalle zu gewinnen.
»CONVENTION AGAINST TORTURE AND OTHER CRUEL, INHUMAN OR DEGRADING TREATMENT OR PUNISHMENT«, Thomas Locher
Denn innen lädt die Ausstellung »squatting« bis Ende Mai zum Erinnern und Vergessen ein und wird außen durch das Projekt »autoR« ergänzt. Gestern feierte »squatting« seine Eröffnung und wird wohl die nächste Episode in der Reihe sehenswerter Ausstellungen der Kunsthalle sein.
Für »squatting« wurde der Raum mit Zäunen durchzogen und in drei Teile zergliedert, die durch drei verschiedene Türen oder einfacherhalber durch Übersteigen der Zäune begehbar sind. Somit werden einzelne Arbeiten miteinander in Bezug gebracht und anderen gegenübergestellt. In der Halle verteilt stehen zudem vier weitere Räume, die so Perspektiven und Blickwinkel schaffen und durchbrechen.
»Großmeister der Täuschung«, Sven JohneDennoch thematisieren alle Werke in irgendeiner Form das Erinnern und sei es durch das Vergessen. Da sammelt etwa Sven Johne in »Großmeister der Täuschung I‑V« fünf phantastische Geschichten, viel mehr journalistisch klingende Berichte von fünf ostdeutschen Männern, die so abenteuerlich wirken, dass man zweifelt, ob es sich hierbei um Fakten, nostalgisch gefärbte Erinnerungen oder gar Fiktion handelt. Ergänzt um unscharfe Portraits entstehen so Konstrukte, die mit Verunsicherung und dem Problem der medialen Informationshoheit spielen.
An anderer Stelle wird Annika Erikssons Video »Maximum Happiness« gezeigt, in dem eine nächtliche Ansicht der britischen Stadt Sheffield gezeigt wird. Nicht viel passiert, bis einige Spots die große, heruntergekommene Wohnanlage »Park Hill« illuminieren, die, wie ein Text verrät, einst in Zeiten der Wohnungsnot als Ort des »maximalen Glücks« oder immerhin eine Annäherung daran gedacht war. Die soziale Utopie wurde jedoch bald durch fortschreitenden Leerstand und damit auch äußerlichen Verfall zum antiquierten Überbleibsel der illusorisch-phantastischen Träumerei für ein revolutionäres Wohnungsbauprojekts und hat nun nicht mehr viel mit dem gemein, als was es einst konzipiert wurde.
Park Hill ist spätestens seitdem es unter Denkmalschutz gestellt wurde mehr eine tote Ruine denn das, was sich die Architekten erträumten, und verschwindet so auch lautlos in Sheffields Nacht. Eriksson holt dieses Gespenst des Städtebaus durch ihre Spotlichter wieder in die Erinnerung und ruft so zum Vergleich zwischen Gegenwart und Vergangenheit wie zwischen Realität und Utopie auf.
Entwurf für Carsten Nicolais »autoR«
Für die Fassade dagegen hat kein Geringerer als Carsten Nicolai, vielen besser als Alva Noto bekannt, sein noch im Entstehungsprozess begriffenes Projekt »autoR« entworfen. Die Idee: Das Gebäude ist mit einer weißen PVC-Plane behangen, die als leerer, inhaltloser Kontrapunkt zu den großen Werbeflächen der Innenstadt stehen soll. Mitte Juni wird dann die Plane im Innenraum ausgelegt werden und kann von den Besuchern mit y‑förmigen Aufklebern geschmückt werden. Danach findet die Plane wieder ihren Platz an der Fassade und soll so durch einen »demokratischen und dynamischen Prozess« bestimmt sein, der auch dann noch durch die Möglichkeit, weiterhin Aufkleber anzubringen, bestehen bleiben soll.
Das Endergebnis ist also noch ungewiss, erinnert in seiner Beschreibung allerdings mit einem naiven Beigeschmack an das doch viel radikalere AdBusting, wo ja bereits bestehende Werbeplakate durch Hinzufügen oder Entfernen einzelner Elemente verzerrt oder ins Gegenteil verdreht werden. Mag die zunächst blanke Werbefläche der Temporären Kunsthalle ein herausstechendes Gegenbeispiel im Berliner Werbedschungel sein, bin ich doch recht skeptisch, ob die »demokratisch« beklebte Fassade mehr sein wird als eben das: eine Ansammlung hübsch aneinandergereihter Aufkleber.
Unterm Strich: Die Vernissage zu »squatting« war keine besonders erlebnisreiche Angelegenheit. Wie zu erwarten, war die Temporäre Kunsthalle sehr gut besucht, so voll, dass es kaum möglich war, sich eingehend mit der ausgestellten Kunst zu beschäftigen. Auch ein Harry Lybke blieb der Veranstaltung nicht fern und auch der sah nicht sonderlich begeistert aus (es sei denn, da lief ein Doppelgänger rum). Zwar war es keine der unlängst angeprangerten Champagner-Vernissagen, doch taten die von der Eröffungsparty im Café nebenan herüberwabernden Bässe sowie drängelnde und laut schwatzende Leute ihr Übriges, um der Eröffnung mehr von einem Event denn von einer Ausstellung zu verleihen.
So ist es vielleicht auch zu erklären, dass ich mit mehr fotografisch festgehaltenen Galerieansichten als Kunsteindrücken heimgekehrt bin und sicherlich noch einmal einen ruhigen Tag nutzen werde, um mich eingehend mit den Arbeiten auseinanderzusetzen, die gestern doch eher wie eine diffuse Aneinanderreihung wirkten. Es ist jedenfalls angeraten, einen ruhigen Vormittag für »squatting« zu wählen, da die 22 ausgestellten Werke zwar eine gewisse Spannung ausüben, aber doch nicht gerade leichte Kost darstellen.
Das ist zwar keine uneingeschränkte Empfehlung für »squatting« — die Kunsthalle hat schon ganz anderes gesehen -, aber dennoch ein Tip für all diejenigen, die Gefallen daran haben, sich auch länger mit Kunstwerken auseinanderzusetzen.