Konservierte Erinnerungen

02. April 2010 von Matthias Planitzer
"Doubles and Couples - Version Berlin", Haegue Yang Die Temporäre Kunsthalle mauserte sich in den 17 Monaten ihres Bestehens schnell zu einem wichtigen Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst v.a. von Berliner und in Berlin wohnhaften Künstlern. Der Name verrät es schon, dem Dasein der Galerie ist eine Frist gesetzt, denn im August diesen Jahres, nach ziemlich genau zwei Jahren in der Berliner Kunstszene, wird sie zum letzten Mal ihre Pforten schließen. Bis dahin ist aber noch ein wenig Zeit und es gibt wieder einmal Neuigkeiten vom Schloßplatz: Nach dem Berlinale-Ergänzungsprogramm "Auto-Kino!" und Bettina Pousttchis Außeninstallation "Echo" zeigt sich die Temporäre Kunsthalle seit gestern bzw. vorgestern innen wie außen in neuem Gewand. Am gestrigen Abend lud die Galerie zur Vernissage und ich habe die Gelegenheit genutzt, um einen ersten Eindruck von den neuen Projekten der Temporären Kunsthalle zu gewinnen.
Haegue Yang: "Doubles and Couples - Version Berlin", Galerieansicht»Dou­bles and Cou­ples — Ver­si­on Ber­lin«, Hae­gue Yang

Die Tem­po­rä­re Kunst­hal­le mau­ser­te sich in den 17 Mona­ten ihres Bestehens schnell zu einem wich­ti­gen Aus­stel­lungs­ort für zeit­ge­nös­si­sche Kunst v.a. von Ber­li­ner und in Ber­lin wohn­haf­ten Künst­lern. Der Name ver­rät es schon, dem Dasein der Gale­rie ist eine Frist gesetzt, denn im August die­sen Jah­res, nach ziem­lich genau zwei Jah­ren in der Ber­li­ner Kunst­sze­ne, wird sie zum letz­ten Mal ihre Pfor­ten schlie­ßen. Bis dahin ist aber noch ein wenig Zeit und es gibt wie­der ein­mal Neu­ig­kei­ten vom Schloßplatz:

Nach dem Ber­li­na­le-Ergän­zungs­pro­gramm »Auto-Kino!« und Bet­ti­na Poust­tchis Außen­in­stal­la­ti­on »Echo« zeigt sich die Tem­po­rä­re Kunst­hal­le seit ges­tern bzw. vor­ges­tern innen wie außen in neu­em Gewand. Am gest­ri­gen Abend lud die Gale­rie zur Ver­nis­sa­ge und ich habe die Gele­gen­heit genutzt, um einen ers­ten Ein­druck von den neu­en Pro­jek­ten der Tem­po­rä­ren Kunst­hal­le zu gewinnen.

Thomas Locher: "CONVENTION AGAINST TORTURE AND OTHER CRUEL, INHUMAN OR DEGRADING TREATMENT OR PUNISHMENT", Galeriansicht»CONVENTION AGAINST TORTURE AND OTHER CRUEL, INHUMAN OR DEGRADING TREATMENT OR PUNISHMENT«, Tho­mas Locher

Denn innen lädt die Aus­stel­lung »squat­ting« bis Ende Mai zum Erin­nern und Ver­ges­sen ein und wird außen durch das Pro­jekt »autoR« ergänzt. Ges­tern fei­er­te »squat­ting« sei­ne Eröff­nung und wird wohl die nächs­te Epi­so­de in der Rei­he sehens­wer­ter Aus­stel­lun­gen der Kunst­hal­le sein.

Für »squat­ting« wur­de der Raum mit Zäu­nen durch­zo­gen und in drei Tei­le zer­glie­dert, die durch drei ver­schie­de­ne Türen oder ein­fa­cher­halb­er durch Über­stei­gen der Zäu­ne begeh­bar sind. Somit wer­den ein­zel­ne Arbei­ten mit­ein­an­der in Bezug gebracht und ande­ren gegen­über­ge­stellt. In der Hal­le ver­teilt ste­hen zudem vier wei­te­re Räu­me, die so Per­spek­ti­ven und Blick­win­kel schaf­fen und durchbrechen.

Sven Johne: Großmeister der Täuschung»Groß­meis­ter der Täu­schung«, Sven Joh­ne

Den­noch the­ma­ti­sie­ren alle Wer­ke in irgend­ei­ner Form das Erin­nern und sei es durch das Ver­ges­sen. Da sam­melt etwa Sven Joh­ne in »Groß­meis­ter der Täu­schung I‑V« fünf phan­tas­ti­sche Geschich­ten, viel mehr jour­na­lis­tisch klin­gen­de Berich­te von fünf ost­deut­schen Män­nern, die so aben­teu­er­lich wir­ken, dass man zwei­felt, ob es sich hier­bei um Fak­ten, nost­al­gisch gefärb­te Erin­ne­run­gen oder gar Fik­ti­on han­delt. Ergänzt um unschar­fe Por­traits ent­ste­hen so Kon­struk­te, die mit Ver­un­si­che­rung und dem Pro­blem der media­len Infor­ma­ti­ons­ho­heit spielen.

An ande­rer Stel­le wird Anni­ka Eriks­sons Video »Maxi­mum Hap­pi­ness« gezeigt, in dem eine nächt­li­che Ansicht der bri­ti­schen Stadt Shef­field gezeigt wird. Nicht viel pas­siert, bis eini­ge Spots die gro­ße, her­un­ter­ge­kom­me­ne Wohn­an­la­ge »Park Hill« illu­mi­nie­ren, die, wie ein Text ver­rät, einst in Zei­ten der Woh­nungs­not als Ort des »maxi­ma­len Glücks« oder immer­hin eine Annä­he­rung dar­an gedacht war. Die sozia­le Uto­pie wur­de jedoch bald durch fort­schrei­ten­den Leer­stand und damit auch äußer­li­chen Ver­fall zum anti­quier­ten Über­bleib­sel der illu­so­risch-phan­tas­ti­schen Träu­me­rei für ein revo­lu­tio­nä­res Woh­nungs­bau­pro­jekts und hat nun nicht mehr viel mit dem gemein, als was es einst kon­zi­piert wurde.

Park Hill ist spä­tes­tens seit­dem es unter Denk­mal­schutz gestellt wur­de mehr eine tote Rui­ne denn das, was sich die Archi­tek­ten erträum­ten, und ver­schwin­det so auch laut­los in Shef­fields Nacht. Eriks­son holt die­ses Gespenst des Städ­te­baus durch ihre Spot­lich­ter wie­der in die Erin­ne­rung und ruft so zum Ver­gleich zwi­schen Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit wie zwi­schen Rea­li­tät und Uto­pie auf.

Entwurf für autoREnt­wurf für Cars­ten Nico­lais »autoR«

Für die Fas­sa­de dage­gen hat kein Gerin­ge­rer als Cars­ten Nico­lai, vie­len bes­ser als Alva Noto bekannt, sein noch im Ent­ste­hungs­pro­zess begrif­fe­nes Pro­jekt »autoR« ent­wor­fen. Die Idee: Das Gebäu­de ist mit einer wei­ßen PVC-Pla­ne behan­gen, die als lee­rer, inhalt­lo­ser Kon­tra­punkt zu den gro­ßen Wer­be­flä­chen der Innen­stadt ste­hen soll. Mit­te Juni wird dann die Pla­ne im Innen­raum aus­ge­legt wer­den und kann von den Besu­chern mit y‑förmigen Auf­kle­bern geschmückt wer­den. Danach fin­det die Pla­ne wie­der ihren Platz an der Fas­sa­de und soll so durch einen »demo­kra­ti­schen und dyna­mi­schen Pro­zess« bestimmt sein, der auch dann noch durch die Mög­lich­keit, wei­ter­hin Auf­kle­ber anzu­brin­gen, bestehen blei­ben soll.

Das End­ergeb­nis ist also noch unge­wiss, erin­nert in sei­ner Beschrei­bung aller­dings mit einem nai­ven Bei­geschmack an das doch viel radi­ka­le­re AdBus­ting, wo ja bereits bestehen­de Wer­be­pla­ka­te durch Hin­zu­fü­gen oder Ent­fer­nen ein­zel­ner Ele­men­te ver­zerrt oder ins Gegen­teil ver­dreht wer­den. Mag die zunächst blan­ke Wer­be­flä­che der Tem­po­rä­ren Kunst­hal­le ein her­aus­ste­chen­des Gegen­bei­spiel im Ber­li­ner Wer­be­dschun­gel sein, bin ich doch recht skep­tisch, ob die »demo­kra­tisch« bekleb­te Fas­sa­de mehr sein wird als eben das: eine Ansamm­lung hübsch anein­an­der­ge­reih­ter Aufkleber.

 

Unterm Strich: Die Ver­nis­sa­ge zu »squat­ting« war kei­ne beson­ders erleb­nis­rei­che Ange­le­gen­heit. Wie zu erwar­ten, war die Tem­po­rä­re Kunst­hal­le sehr gut besucht, so voll, dass es kaum mög­lich war, sich ein­ge­hend mit der aus­ge­stell­ten Kunst zu beschäf­ti­gen. Auch ein Har­ry Lyb­ke blieb der Ver­an­stal­tung nicht fern und auch der sah nicht son­der­lich begeis­tert aus (es sei denn, da lief ein Dop­pel­gän­ger rum). Zwar war es kei­ne der unlängst ange­pran­ger­ten Cham­pa­gner-Ver­nis­sa­gen, doch taten die von der Eröf­fungs­par­ty im Café neben­an her­über­wa­bern­den Bäs­se sowie drän­geln­de und laut schwat­zen­de Leu­te ihr Übri­ges, um der Eröff­nung mehr von einem Event denn von einer Aus­stel­lung zu verleihen.

So ist es viel­leicht auch zu erklä­ren, dass ich mit mehr foto­gra­fisch fest­ge­hal­te­nen Gale­rie­an­sich­ten als Kunst­ein­drü­cken heim­ge­kehrt bin und sicher­lich noch ein­mal einen ruhi­gen Tag nut­zen wer­de, um mich ein­ge­hend mit den Arbei­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen, die ges­tern doch eher wie eine dif­fu­se Anein­an­der­rei­hung wirk­ten. Es ist jeden­falls ange­ra­ten, einen ruhi­gen Vor­mit­tag für »squat­ting« zu wäh­len, da die 22 aus­ge­stell­ten Wer­ke zwar eine gewis­se Span­nung aus­üben, aber doch nicht gera­de leich­te Kost darstellen.

Das ist zwar kei­ne unein­ge­schränk­te Emp­feh­lung für »squat­ting« — die Kunst­hal­le hat schon ganz ande­res gese­hen -, aber den­noch ein Tip für all die­je­ni­gen, die Gefal­len dar­an haben, sich auch län­ger mit Kunst­wer­ken auseinanderzusetzen.